Vor-Ort-Treffen
Bericht zur Besichtigung des Living Lab Energy Campus

Kleinstadtähnliche Verhältnisse mit 7.100 Menschen und über 200 Gebäuden auf 1,7 km2 Fläche treffen an einem Ort auf Spitzenforschung im Energiebereich – wo also könnte man die Transformation des Energiesystems besser erproben als im Forschungszentrum Jülich? Das Living Lab Energy Campus (LLEC) macht sich diese Ausgangsbedingungen zunutze. Am 22.03.2024 öffnete es seine Tore für rund 15 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des zweiten Vor-Ort-Treffens der Digi-Sandbox.NRW. Herr Dr. Wirtz, zuständig für Wissenschaftskommunikation und Technologietransfer des LLEC, sowie Herr Dr. Kasselmann, Projektmanager des LLEC sowie Fachbereichsleiter des Intelligent Campus (TB-X) des Forschungszentrums Jülich, begrüßten uns herzlich und stellten uns zunächst die Vision, Ziele und den Weg des Reallabors für zukünftige Energiesysteme vor. Das Ziel ist klar und anspruchsvoll. Es besteht in der Erprobung einer wissenschaftlich-technologischen Plattform zur Entwicklung hoch-integrierter Energieversorgungssysteme durch lernfähige und vorausschauende Regelungsstrategien in den Bereichen Wärme, Strom, chemische Energiespeicher und Mobilität.

Nach einer ersten Übersicht über die verschiedenen Komponenten des Projektverbunds und ihrer jeweiligen Funktion für ein zukünftiges Energiesystem freuten wir uns auf die Besichtigung der entsprechenden Demonstratoren auf dem Gelände des Forschungszentrums.

© Projektträger Jülich (PtJ)
© Projektträger Jülich (PtJ)

„Erneuerbare“ optimieren, Flächen sparen

Das energieintensive Forschungszentrum konzentriert sich im Bereich der Photovoltaik-Anlagen weniger darauf, den gesamten Energiebedarf zu decken, sondern vielmehr auf die Einsparung und Optimierung verfügbarer Flächen im Rahmen des Forschungsansatzes. Auf dem Campus werden nicht bebaubare Freiflächen, Dächer, Fassaden und sogar ein Gehweg testweise für die Stromgewinnung genutzt. Zusammengenommen erreichen die installierten PV-Anlagen eine Leistung von 1,5 MWp. Um Netze zu stabilisieren und die Versorgung zu sichern, werden auch zwei große Li-Ionen-Batteriesystem in das Energiesystem integriert, und zwar das erste Tesla-Megapack Deutschlands (2.600 kwW/ 595 kW) sowie ein System von Riello (525 kWh / 1.500 kW). Außerdem ist an das Riello-Batteriesystem die deutschlandweit erste bidirektionale 250 kW-Ladesäule der Firma „Nex2“ angeschlossen, die in Zusammenarbeit mit dem lokalen Energieversorger NEW aus Mönchengladbach betrieben wird. Dabei ist auch die Untersuchung der Batteriealterung in Verbindung mit dem bidirektionalen Laden von wissenschaftlichem Interesse.

Mehr H2 für weniger Strom - eine optimierte Wasserstofferzeugung und -speicherung

Im H2-Technikum erhielten wir einen Einblick in die Forschung zu hocheffizienten Elektrolyseuren (PEM). Der dort produzierte Wasserstoff soll künftig zur Wärmevollversorgungszentrale (WVVZ) des FZJ-Campus transportiert werden, wo zurzeit ein Betrieb mit H²-Beimischung vorbereitet wird. Direkt nebenan wird die Ein- und Ausspeicherung von Wasserstoff durch den LOHC-One-Reaktor weiterentwickelt. Die Wasserstoffspeicherung erfolgt bei der LOHC-Technologie durch eine reversible Reaktion des Wasserstoffs mit der LOHC-Verbindung. Dadurch kann Wasserstoff ohne besondere Anforderungen an Druck oder Temperatur in einer ölartigen Flüssigkeit gespeichert werden. Der Demonstrator stellt einen Prototyp in einem bisher weltweit einmaligen Leistungsniveau von 300 kW (H2) dar und ist ab 2026 mittels einer Wasserstoff- und Sauerstoffpipeline mit dem H2-Technikum verbunden. Die regulatorische Herausforderung: Das LOHC zur Wasserstoff-Lagerung darf aktuell noch nicht in benötigter Menge vorgehalten werden. Für den vergleichbaren Diesel-Kraftstoff sieht die Störfall-Verordnung erhöhte Mengenschwellenwerte vor (2500 t). Das Forschungszentrum droht (bei einer Einstufung des LOHC als gewässergefährdend) ab einer LOHC-Lagerungsmenge von 100 t unter die Störfall-Verordnung zu fallen, die mit weitreichenden bürokratischen und praktischen Folgen im Hinblick auf die Sicherheit. Auf dem stark bebauten und hoch frequentierten Campus wäre die Einhaltung der Verordnung jedoch nur mit großem Aufwand möglich. Um die Forschungsaktivitäten zu beschleunigen, wird Digi-Sandbox.NRW weiterhin eng mit dem LLEC zusammenarbeiten.

 

Der Faktor Mensch und die Datenmodellierung

Die nächste Station war das „JuLab - Schülerlabor“, das eine Miniaturversion des LLEC enthält. Das Gebäude ist mit zahlreichen Sensoren, einer Kleinwindanlage, Photovoltaik auf dem Dach und weiteren technischen Innovationen ausgestattet, sodass hier auch vom „Mini-LLEC Reallabor“ gesprochen wird. Der Energieverbrauch wird auf einem Bildschirm im Eingangsbereich angezeigt, reguliert sich automatisch und ist für alle Besucher leicht nachvollziehbar. Benutzer werden hierbei durch Workshops und Co-Designs integriert, um das System transparent und verständlich zu gestalten. Ein sogenannter „Kill-Switch" ermöglicht es jederzeit, vom Forschungs- in den Standardbetrieb umzuschalten.

© Forschungszentrum Jülich

Klimaneutraler Verwaltungsbau durch Abwärmenutzung

Am Ende der Tour passierten wir die Baustelle des klimaneutralen Verwaltungsbaus des Forschungszentrums. Bei diesem Bau werden bereits einige Erkenntnisse aus dem LLEC aufgegriffen. Ganz in der Nähe befinden sich auch die Supercomputer  JUWELS und JURECA. Die hier produzierte Abwärme wird im Rahmen der Forschung ab diesem Jahr direkt genutzt. Das neue Projekt ExaHeat wird ab 2027 die Abwärme des ersten europäischen ExaScale-Computers nutzen, der über eine Billion Rechenoperationen pro Sekunde durchführen kann. Dies führt zu einer jährlichen Einsparung von etwa 2,4 Millionen Euro und einer CO₂-Einsparung von rund 4.800 Tonnen.

Wir danken Herrn Dr. Kasselmann und Herrn Dr. Wirtz herzlich für diese bereichernden Einblicke. Wir durften eindrucksvoll erleben, wie ein Reallabor im laufenden Betrieb agiert und interagiert. Wir wünschen weiterhin viel Erfolg und sind gespannt auf die zukünftigen Entwicklungen!