Zweites Netzwerktreffen
Wie Reallabore zur Nachhaltigkeit beitragen können

Bild der Veranstaltung
© Projektträger Jülich (PtJ)

Dieses Jahr fanden sich am 28.11.2023 rund 50 Teilnehmende zum 2. Netzwerktreffen im Düsseldorfer Medienhafen ein, um - aus erster Hand - die neusten Informationen über die Regulierung von Reallaboren zu erfahren, oder mit einer Tasse Kaffee in der Hand auszuloten, was von erfahrenen Reallaboren, wie der Digitalstadt Ahaus, gelernt werden kann.

Fokus des diesjährigen Treffens war die „Nachhaltigkeit“. Drei Reallabore erläuterten anschaulich, welchen Beitrag sie zur Nachhaltigkeit leisten. Wie zukünftige Mobilitäts- und Stadtstrukturen aussehen und wie KI zur Energieeinsparung beitragen kann, erfuhren die Teilnehmenden am Nachmittag.

Begrüßung von Frau Krebs
© MWIKE NRW

Wir brauchen mehr Mut – und zwar schnell!

Nicht nur die kreative Atmosphäre des STARTPLATZES lud zum Umdenken ein, auch unsere Vortragenden waren der Meinung, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, um mutig zu sein. Innovative, insbesondere klimaschonende Maßnahmen, Technologien oder Produkte sollen, dürfen – nein – sie müssen jetzt erprobt werden.

Staatssekretärin Silke Krebs betonte, dass nordrhein-westfälische Reallabore bereits Maßnahmen zur Erreichung der im Klimaschutzpaket der Landesregierung festgelegten Ziele erproben.

Reallabor Agroforst
© Projektträger Jülich (PtJ)

Wie genau Reallabore einen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten, erfuhren wir von drei Reallaborentwicklern:

Dr. Ana Kreter vom Zentrum für Forschung, Innovation und Transfer präsentierte, wie in der Region Niederrhein auf Demonstrationsflächen für Agroforstsysteme nachhaltige und wirtschaftlich tragfähige Alternativen zu bestehenden Produktionssystemen aufgezeigt werden. Auch hier wird neu gedacht: Durch die Kombination von Forst- und Landwirtschaft (Obstbäume oder Ackerkulturen gepaart mit Tierhaltung) und den Einsatz innovativer Hilfsmittel wie Wetterstationen, Bodensensoren und Drohnen, kann Land- und Forstwirtschaft ressourcensparender und ertragssteigernder betrieben werden.

Hierbei betonte Frau Kreter, dass es besonders wichtig sei, die gesamte Wertschöpfungskette zu betrachten und alle Akteure miteinzubeziehen, um eine transdisziplinäre „Innovationsplattform“ zu schaffen.

Download: Präsentation Reallabor Agroforst

Innovationszone Bergheim
© Projektträger Jülich (PtJ)

Jonathan Gerz vom Lehrstuhl für Production Engineering of E-Mobility Components der RWTH Aachen und Kristian Fetz von der Kreisstadt Bergheim erläuterten die ehrgeizigen Pläne für die „Innovationszone Bergheim“. Die gesamte Stadt Bergheim soll zu einem Reallabor werden, in dem die Rahmenbedingungen für eine ökonomisch leistungsfähige, ökologisch verträgliche und sozial ausgewogene Stadtentwicklung geschaffen werden. Neben einer Gesamtmobilitätsstrategie, klimaneutraler Energieerzeugung gekoppelt mit einem ganzheitlichen Energiemanagementkonzept soll Bergheim zu einer nachhaltigen Vorbildkommune werden, in der durch die Nutzung zukunftsträchtiger Technologien, durch umweltschonende Rohstoffgewinnung und die Wiederverwendung von Produkten und Rohstoffen dem Klimawandel entgegengewirkt wird. Mit dem ganzheitlichen Ansatz, den die Stadt verfolgt, können weitere nachhaltige Bausteine zukünftig ergänzt werden.

Download: Präsentation Reallabor Innovationszone Bergheim

 

Aachen Bioplastics Cycle Living Labs Incubator
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Umweltverschmutzung durch Abfall oder Mikropartikel im Meer: Der Gebrauch konventioneller Kunststoffe stellt für die Umwelt erhebliche Probleme dar und stellt die Menschen vor eine große Herausforderung. Julia Backhaus vom Human Technology Center der RWTH Aachen stellte das Projekt „Aachen Bioplastics Cycle Living Labs Incubator“ vor, das die Basis für die Entwicklung mehrerer Reallabore zum Thema Biokunststoff, der auf erneuerbaren Rohstoffen basiert und/oder biologisch abbaubare Eigenschaften aufweist, geschaffen hat. Der frühzeitige Austausch zwischen Expert*innen, die Lösungen für die verschiedenen Bereiche des Lebenszyklus von Biokunststoffen entwickeln und die Kollaboration mit Unternehmen und Endverbrauchenden ist entscheidend für einen realisierbaren Materialkreislauf von Biokunststoffen.

 Download: Aachen Bioplastics Cycle Living Labs Incubator

Blick aus Startplatz
© MWIKE NRW

Raum zum Netzwerken

Nicht nur zeitlich, sondern auch räumlich gesehen, bot das Treffen den Teilnehmenden Raum für Austausch und Wissenstransfer. Bereits in den Fragerunden nach den Vorträgen hatten sich einige potenzielle „Matches“ herauskristallisiert, die in der Kaffee- und Mittagspause vertieft werden konnten. Mit Ausblick auf den sonnigen Medienhafen wurden Kontakte geknüpft und gute Ideen für das Jahr 2024 entwickelt.

Und wieder ein Lob von Bundesseite: NRW ist und bleibt Vorreiter!

Panel-Diskussion zum rechtlichen Rahmen für Reallabore
© Projektträger Jülich (PtJ)

Gestärkt durch Finger Food, Kekse und Obst startete der Nachmittag mit einer Panel-Diskussion zum rechtlichen Rahmen für Reallabore aus NRW-, Bundes- und EU-Perspektive. Einigkeit bestand zwischen den Panelisten im Hinblick auf die Definition eines Reallabors, bei dem es um die befristete Erprobung innovativer Technologien, Produkte, Dienstleistungen oder Ansätze unter möglichst realen Bedingungen geht. Dabei wird die Erprobung von der zuständigen Behörde beaufsichtigt, aktiv begleitet und unterstützt. Nach Ansicht von Christian Siebert (Gruppenleiter Europa und Recht, MWIKE) sollte die Genehmigungsbehörde diese aktive Rolle möglichst auch ausüben. Es sei ein Umdenken hin zu einer Problemlösungskultur erforderlich. Besonders relevant sei dies auch bei der Beschleunigung von Genehmigungsverfahren.

Auf einem guten Weg sind wir im Hinblick auf die Etablierung kontrollierter Ausnahmen von allgemeinen rechtlichen Vorgaben, den sogenannten Experimentierklauseln. Kai Zenner (Head of Office & Digital Policy Adviser for MEP Axel Voss, EP) berichtete von zahlreichen Initiativen der Kommission, die Regelungen zu Reallaboren enthalten (vom EU-Arzneimittelrecht bis hin zur KI-Verordnung). Dr. Konstantin Kolloge (Co-Leiter der Geschäftsstelle Reallabore, BMWK) hält insbesondere die Formulierung zu Reallaboren in der KI-Verordnung für gelungen. Diese wird als Blaupause für weitere Experimentierklauseln genutzt.

Panel-Diskussion zum rechtlichen Rahmen für Reallabore 2
©Projektträger Jülich (PtJ)

Aber nicht nur auf europäischer Ebene wird fleißig an innovationsfreundlichen Regelungen gearbeitet. Das Bundes-Reallabore-Gesetz wird neben Standards für Reallabore, einem Experimentierklausel-Check und einem One-Stop-Shop für Reallabore auf Bundesebene („Digi-Sandbox.NRW in groß“) auch insbesondere neue Experimentierklauseln enthalten. NRW hat seine Hausaufgaben gemacht: Herr Siebert berichtete, dass eine durch sein Haus koordinierte Position der Landesregierung an das BMWK im Rahmen der Konsultation übermittelt wurde.

Hier finden Sie einen Überblick der Experimentierklauseln

Neben der Entwicklung des regulatorischen Rahmens für Reallabore wurde auch die Problematik von Zuständigkeiten und Ansprechpersonen angesprochen. Ein Beispiel lieferte eine Teilnehmerin, die im Genehmigungsprozess eines Agrar-Reallabors mittlerweile mit drei unterschiedlichen Ministerien in Kontakt steht. Gut, dass es sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene interministerielle Arbeitsgruppen zum Thema Reallabore gibt, die die Koordination solcher Anliegen erleichtern. Entgegen der teilweise technischen Schwierigkeiten bei der Videoschalte, besteht zum Glück „ein guter Draht“ nach Berlin, sodass auch der zweite Co-Leiter der Geschäftsstelle Reallabore, Dr. Kai Hielscher, sich aktiv in das Netzwerktreffen einbrachte.

Reallabore-Gesetz: Ergebnisse der Online-Konsultation
© Projektträger Jülich (PtJ)

Spannende Einblicke in die Reallabor-Gesetzgebung des Bundes

Dr. Hielscher präsentierte die Ergebnisse des Konsultationsverfahrens zum Reallabore-Gesetz. Im Rahmen der im Sommer durchgeführten Online-Konsultation erhielt das BMWK über 400 vollständig ausgefüllte Fragebögen zurück. Der größte Teil stammte von Forschungsinstituten / Hochschulen und Unternehmen. Im Hinblick auf die Rahmenbedingungen für Reallabore waren den Stakeholdern die Möglichkeit, von hindernden rechtlichen Vorgaben abweichen zu dürfen, die Skalierung der Innovation nach dem Reallabor und das unterstützende Agieren verantwortlicher Behörden besonders wichtig.

Auch erhielten wir bereits einen Einblick, in welche Richtung die ca. 400 Innovationen gehen, für die Erprobungsmöglichkeiten gefordert wurden: Neue Experimentierklauseln könnten in den Bereichen autonomes Fahren auf der Schiene, unbemannte Luftfahrt, Drohnen, Kreislaufwirtschaft, Recycling, Düngemittelherstellung und –verwendung, Stadt-Verkehrsplanung, Mobilität, Energie, Netze, Quartiere, KI und Datenschutz kommen. Wobei der Auftrag zu KI und Datenschutz wohl eher Richtung EU geht.

Reallabore in Mobilitäts- und Stadtstrukturen weiterdenken!

Können Sie sich vorstellen, dass sie auf die Straße gehen und statt grauem Asphalt und farblosen Häuserwänden Rasenflächen und Grünpflanzen erblicken? Da wo sich sonst immer die Autos stauten, fährt eine geräuschlose, klimaneutrale Bahn. Auf der ehemaligen Straße spielen Kinder und Nachbarn pflanzen Gemüse an. Nein? Dann helfen vielleicht die visual utopias von Jan Kamensky.

Vortrag Prof. Wittowsky
© Projektträger Jülich (PTJ)

Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky vom Institut für Mobilitäts- und Stadtplanung der Uni Duisburg-Essen demonstrierte anschaulich, wie Anfänge dieser Visionen bereits umgesetzt wurden: Radwege statt Parkplätze, verkehrsberuhigte Schulstraßen statt Elterntaxis, Begegnungsräume und Grünpflanzen statt Abbiegerspuren. „Die Transformation zur Klimaneutralität erfordert eine umfassende gesellschaftliche und politische Neuausrichtung.“

Schwierig sei, dass meist nur einzelne Straßen oder Quartiere als Reallabor dienen. Wünschenswert wäre, diese Ideen in ganzen Städten umzusetzen. Wichtig ist dabei, die Bevölkerung mitzunehmen.

Download: Nachhaltige Mobilitäts- und Stadtstrukturen

© MWIKE NRW

KI verändert die Welt – auch im Hinblick Nachhaltigkeit!

Dr. Christian Temath, Geschäftsführer der Kompetenzplattform KI.NRW wurde direkt zu Beginn des Treffens mit der Frage konfrontiert, ob die energieintensive Künstliche Intelligenz überhaupt nachhaltig sein kann. Und ja, KI kann zur Nachhaltigkeit beitragen und deshalb sollten KI und Nachhaltigkeit zusammengedacht werden: Wasserverbrauch, Energiekosten für Gebäude, Lebensmittelmengen in der Gastronomie, logistische Touren oder Abfallsortierung lassen sich mithilfe von KI effizienter, günstiger und insbesondere nachhaltiger gestalten. Und dies sind nur einzelne Beispiele! Vielleicht kann auch Ihr Reallabor mit dem Einsatz KI noch nachhaltiger werden?

 Download: KI und Nachhaltigkeit zusammen denken

DANKE!

Wir blicken zurück auf ein erfolgreiches zweites Netzwerktreffen und bedanken uns bei allen Mitwirkenden und Teilnehmenden. Wir sind stolz, auf das Know-how, das in unserem Bundesland besteht, auf die mutigen, innovativen Köpfe, die mit ihren Reallaboren Lösungen für eine der größten Herausforderung der Menschheit, den Klimawandel, erarbeiten. Eine große Sorge vieler innovativer und nachhaltiger Projekte ist insbesondere die angespannte Haushaltslage. Einige Reallabore sind auf Förderungen angewiesen und hoffen, dass nicht beim Thema Nachhaltigkeit gespart wird. Wir werden auch nächstes Jahr für unsere Reallabore da sein und freuen uns auf 2024!