Zu Recht kollaborativ

Die Digi-Sandbox.NRW und der  Living Labs Incubator der RWTH Aachen luden online zum Austausch über rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten und Herausforderungen in Reallaboren ein.

©Anton Gvozdikov – stock.adobe.com

Die gegenwärtige Rechtsordnung wird durch vielfältige Innovationen rapide herausgefordert. Um mögliche Hürden und Chancen von Innovationen zu identifizieren, ermöglichen Instrumente wie Reallabore (auch regulatory sandboxes genannt) die Testung von Neuerungen unter realen Bedingungen. Zugleich birgt die Nutzung von Innovationen im Realbetrieb Risiken, welche bei der rechtlichen Ausgestaltung von Reallaboren sowie der Weiterentwicklung des gegenwärtig gegebenen Rechtsrahmens bedacht werden müssen.

Um diese Herausforderungen zu beleuchten, luden die Digi-Sandbox.NRW und der Living Labs Incubator der RWTH Aachen am 13.06.2023 zum kollaborativen Online-Workshop ein.

Begrüßt durch Dr. Tobias Traupel, Abteilungsleiter Europa, Recht und Außenwirtschaft im Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes NRW (MWIKE), und Prof. Dr. Stefan Böschen, Leitung des Living Labs Incubators der RWTH Aachen, erhielten die Teilnehmenden Einblicke in realexperimentelle Regulationsdefizite und Prozesse der Rechtssetzung.

Eine durch die Veranstaltung begleitende Umfrage unter den Teilnehmenden ergab, dass 18 % der Teilnehmenden bereits ein Reallabor betrieben und 27 % die Einrichtung planten. 47 % der Teilnehmenden war dabei bereits auf rechtliche Hürden gestoßen. Knapp 59 % der Befragten gab das Fehlen einer passenden Experimentierklausel als Hauptproblem an.

Umfrage-Ergebnisse

Praxisperspektiven

Zum Einstieg boten zwei Reallabore, von denen eines bereits realisiert wurde und ein anderes sich mit großen rechtlichen Herausforderungen konfrontiert sieht, anschauliche Praxisbeispiele und ermöglichten damit einen anwendungsoffenen Erfahrungsaustausch.

Automatisiertes Fahren

Laurent Klöker, Gruppenleiter für Intelligente Infrastruktur am Institut für Kraftfahrzeuge der RWTH Aachen, fokussierte seinen Vortrag auf rechtliche Herausforderungen im Reallabor ACCorD, „Korridor für neue Mobilität Aachen – Düsseldorf“.

Um neue Fahrfunktionen automatisierter Fahrzeuge in einer realen Umgebung zu testen, baute ACCorD drei Testfelder im Realverkehr auf. In seinem Vortrag beleuchtete Herr Klöker zum einen die rechtlichen Herausforderungen beim Bau von Anlagen sowie während des Betriebs im öffentlichen Straßenverkehr. Eine große Herausforderung bestand darin, die von den bildgebenden Sensoren auf den Testabschnitten im öffentlichen Raum erhobenen Aufnahmen im Einklang mit den Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) zu verarbeiten. Durch die ausschließlich räumliche Erfassung vorbeifahrender Objekte, die Sofort-Auswertung und das anschließende Verwerfen der Rohdaten konnte das Projekt DSGVO-konform durchgeführt werden.

Vortrag ACCorD
 Testfeld für autonomes Fahren auf der A44 auf Höhe des Autobahnkreuzes Jackerath
© ika, RWTH Aachen University
Testfeld für autonomes Fahren auf der A44 auf Höhe des Autobahnkreuzes Jackerath
Grafik, die die geplanten MonoCabs auf jeweils einer Schiene einer eingleisigen Strecke aneinander vorbeifahrend zeigt.
© TH OWL 2021 Design Team MONOCAB Prof. Ulrich Nether, Prof. Hans Sachs, Carolina Meirelles, Maximilian Müh

Mobilität on Demand

Thorsten Försterling vom Institut für Energieforschung an der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe stellte im zweiten Praxisbeispiel das Konzept MONOCAB OWL vor und gab unterstützt durch Philip Kleen, Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB, Institutsteil für industrielle Automation INA, Einblicke in die rechtlichen Herausforderungen, die das Projekt mit sich bringt.

Um ein kostengünstiges und nachhaltiges automatisiertes Fahren zu gewährleisten, das eine Alternative zum öffentlichen Nahverkehr darstellt, ermöglicht MONOCAB OWL einen Service-on-Demand. Eingleisige, bidirektionale Cabs bilden dabei eine Innovation, die der bestehende Rechtsrahmen nicht abdeckt, so dass sich Fragen nach dem anwendbaren Recht, der Einordnung des neuartigen Verkehrsmittels, sowie der zuständigen Genehmigungsbehörde ergeben.

Vortrag MONOCAB OWL

Juristische Perspektiven

Im zweiten Teil des Workshops beleuchteten juristische Expertinnen und Experten die Chancen und Herausforderungen von Reallaboren unter rechtlichen Gesichtspunkten.

Rechtsrahmen und Gestaltungsmöglichkeiten für Reallabore

Prof. Paul Schrader, Lehrstuhlinhaber für Bürgerliches Recht und Recht der Digitalisierung am Institut des Rechts intelligenter Techniksysteme (RiT) der Universität Bielefeld, referierte zu den Gestaltungsmöglichkeiten bei der Haftungsverteilung.

Haftungsprivilegien in Reallaboren wurden bereits diskutiert, aber bislang nicht geregelt. Ohne spezielle Regelungen seien die Haftungsregelungen der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) anwendbar. Im Außenverhältnis haftet die Gesellschaft und jeder Gesellschafter. Der solventeste wird meist in Anspruch genommen. Bei Insolvenz eines Haftenden bleibt der Inanspruchgenommene auf dem Schaden sitzen. Herr Professor Schrader schlug daher eine Verteilung der Haftung nach Gefahrenbereichen vor, so dass jeweils diejenige Partei für die Gefahr haftet, die sie kontrollieren kann bzw. verantwortet.

Mögliche weitere Gesellschaftsformen sind die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), die Aktiengesellschaft (AG), die Genossenschaft oder die Körperschaft des öffentlichen Rechts.

Vortrag Prof. Schrader

Reallabore als Antwort auf rechtliche Innovationshindernisse

Eine Erprobung von Innovationen unter Realbedingungen erfordert entsprechende rechtliche Rahmenbedingungen. Dr. Theresa Bachmann, Rechtsanwältin und Senior Associate bei der Kanzlei Noerr Partnerschaftsgesellschaft mbB, stellte in ihrem Vortrag das vielseitige Leistungspotenzial von Reallaboren vor und erörterte Nutzungsmöglichkeiten von Experimentierklauseln.

Neben Experimentierklauseln, deren Regelungsgehalt auf das Hindernis passen muss, kommt dabei auch den Behörden eine wichtige Rolle zu: Ihre Begleitung und Unterstützung der Innovatorinnen und Innovatoren (beispielsweise durch die gemeinsame Erarbeitung eines Erprobungsplanes oder behördliche Begleitung des Projektes) trägt maßgeblich zu einer rechtssicheren Erprobung bei.

Vortrag Dr. Bachmann

Europäisches Datenrecht - Hürden und Chancen

Dr. Daniel Rücker, LL.M., Rechtsanwalt und Leiter der Praxisgruppe Datenschutz der Noerr Partnerschaftsgesellschaft mbB, referierte zu Hürden und Chancen des Europäischen Datenrechts.

Nach Erläuterung der europäischen Datenstrategie und der in diesem Zusammenhang erlassenen und anstehenden Rechtsakte der EU (DSGVO, Data Governance Act, Open Data Directive, Data Act, AI Act und Digital Markets Act) gab Herr Dr. Rücker einen Überblick über das Datenschutzrecht, das den Schutz personenbezogener Daten regelt. Für Reallabore bilden vor allem die Zweckbindung und Datenminimierung Herausforderungen.

Zudem ging er auf den Europäischen Data Act-Entwurf ein, der sich zurzeit im Trilogverfahren befindet. Der Data Act befasst sich mit Daten, welche bei der Nutzung eines smarten Produkts oder einem damit zusammenhängenden Dienst generiert werden und normiert u.a. Datenzugangsansprüche für Nutzende.

Vortrag Dr. Rücker

Die Pläne des Bundes zum Reallabore-Gesetz

©Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz

Zum Abschluss warf Dr. Konstantin Kolloge, Leiter der Geschäftsstelle Reallabore im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), mit den Teilnehmenden einen Blick in die Zukunft und stellte die Pläne zum Reallabore-Gesetz des Bundes vor.

Das aktuelle Vorhaben soll einheitliche und innovationsfreundliche Rahmenbedingungen für Reallabore schaffen und neue Freiräume zur Erprobung von Innovationen ermöglichen. Übergreifende Standards für Reallabore und neue Experimentierklauseln in wichtigen Innovationsbereichen sollen gesetzlich verankert werden und für Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Kommunen attraktive Bedingungen bieten, mit denen zugleich regulatorisches Lernen gefördert wird. Zudem soll ein Experimentierklausel-Check in der Gesetzgebung verankert und ein One-Stop-Shop für Reallabore als zentrale Anlaufstelle auf Bundesebene etabliert werden.

Im Juli 2023 startet die öffentliche Online-Konsultation begleitet von der Veröffentlichung des Grünbuchs Reallabore durch das BMWK. Bis Mai 2024 soll der Referentenentwurf erstellt werden, damit das Inkrafttreten in der aktuellen Legislaturperiode erreicht werden kann.

Gegenwärtig erhalten Reallabore bereits bundesseitig Unterstützung im Netzwerk Reallabore und durch Veranstaltungs- und Informationsangebote. Herausragende Reallabore werden zudem mit dem Innovationspreis Reallabore ausgezeichnet.

Zum Bundesangebot

Rückblickend lässt sich festhalten, dass dies nicht die letzte Veranstaltung in diesem Rahmen gewesen sein wird. 53 % der Teilnehmenden sprachen sich für eine Anschlussveranstaltung zur Vertiefung der rechtlichen Aspekte aus. Daneben erfuhr das Thema Reallabore und Nachhaltigkeit mit 61 % der Stimmen großen Zuspruch sowie die Vor-Ort-Termine bei Reallaboren mit 42 %.

Das Veranstaltungsteam wird diese Rückmeldungen aufgreifen und bedankt sich herzlich bei allen Mitwirkenden und Teilnehmenden für den interessanten und engagierten Austausch zum Thema Reallabore und Recht.